Erschrocken stütze sich Brañô auf die Arme und schaute die Römer an. Mit einem Satz war er auf den Beinen, ging leicht in die Hocke um ein kleineres Ziel abzugeben und hob den Schild abwehrend vor sich. Verdammt! Haben die mich etwa eingeholt?, dachte der Alamanne angestrengt nach. Seine Aussichten auf eine zweite Flucht waren schlecht, ausgesprochen schlecht sogar: Ins einem Rücken hatte er einen steilen Abhang, wenn er versuchen würde ihn hochzuklettern würden sie ihn wieder herunterpflücken wie einen reifen Apfel. Wenn er die Flucht nach vorn' wagen würde, so bekämen sie ihn wahrscheinlich zu fassen und rängen ihn nieder, wenn nicht schlimmeres. Aufgeben lag ausser Frage! Als Alamanne, als Krieger (auch wenn er kein ausgebildeter Kämpfer war), wäre es eine Beleidigung seiner Ehre gewesen, sich kampflos zu ergeben. Aber was wollte er sonst machen? Er hatte keinen Speer, nur diesen Schild mit dem man höchstens noch mit der Kante oder dem Schildbuckel Schaden anrichten konnte. So hatte er kaum eine Chance...
Was konnte er tun, was nur?! "Mächtiger Ziu! Erhöre mein Flehen! In deine Hand lege ich mein Schicksal, mein Leben und mein erstes Opfer heute sei dir gewiss, wenn du mir nur irgendwie Hilfe schicken magst...", betete Brañô verzagend in seiner Sprache. Die komischen Laute, die er aussprach mussten den Römern mekrwürdig, wenn nicht sogar wie eine Drohung vorkommen, jedenfalls hoben sie vorsichtig die Spiesse in seine Richtung. Er schloss die Augen. Er seufzte schwer. Ihr guten Götter, jeden, dessen Name ich kenne und jeden anderen, Ziu, Donar, Wotan, Widar, Heimdall, Frey, Njörd, Freya, Slif, Hel... Und auch jene Götter, die meinem Stamm fremd sind: Teutatis, Taranos, Esus, Kernunnos, Epona, Agrona, Arawn, sogar Tarvos Trigaranos rufe ich an. Ich will jedem von euch mein Leben widmen, mehr noch als ich es jetzt schon tat, nur lasst meine Kräfte nicht schwinden.
Er hatte Angst, in der kalten Windluft fühlte sich die einzelne Träne des Zweifels brennend heiss an. Er öffnete die Augen. "Alamannii!", schrie er aus Leibeskräften den Namen seines Stammes in der Sprache der Römer, dann raste er mit vorgehaltenem Schild und gesenktem Kopf auf die drei Soldaten zu. Er spührte, wie ihre Spiesse sich in seinen Schild bohrten, wie der Widerstand auf einmal schwand und er berstendes Holz vernahm. Schliesslich trampelte er den mittleren seiner drei Gegner nieder und rannte mit neuer Kraft weiter.
Er konnte es nicht glauben! Er hatte sie überlebt! Er war ihnen entkommen! "Dank sei den Asen, den Vanen und allen Göttern der Helveter! Ich-", und dann spührte er einen Stoss im Bein. Schreiend stolperte er und fiel erneut auf den Bauch. Er drehte den Kopf und versuchte, den Grund für die Schmerzen ausfindig zu machen: Einer der römischen Soldaten hatte einen Wurfspeer nach ihm geworfen, der sich nun in Brañôs Wade gebohrt hatte. "Mächtiger Ziu!", keuchte er atemlos hervor, dann sah er, wie die Römer sich ihm näherten - Ihre Gladius-Schwerter bereits gezückt. Seine Augen wurden gross. Nicht so! Nicht von drei dahergelaufenen Römern abgestochen, nicht irgendwo in der Wildnis nur weil er ein Barbar war! Das war nicht sein Tod! "Nein", zischte er schliesslich. Unter Schmerzen, die er noch nicht gekannt hatte, zog er das Bein an, um den Speer zu entfernen. Mit einem einzicken Ruck war es ihm glücklicherweise gelungen, die Waffe aus seinem Fleisch zu ziehen. Wankend kam er auf die Beine, die Speerspitze gegen seine Angreifer gerichtet die ihn nun flankierten. "Leg' die Waffe nieder, Barbar!", befahlen sie ihm. Doch er hörte nicht. Er hörte nurnoch ein Rauschen in den Ohren, Schweiss rann ihm den Körper herunter und sein Bein wurde taub. "Der Schlag soll dich treffen...", nuschelte Brañô und konzentrierte sich schwer darauf, nicht einzuknicken. Nur ein bisschen Hilfe, ihr guten Götter, nur ein bisschen...
Mit letzter Kraft schleppte sich der Alamanne vom Schauplatz des Kampfes. Er konnte sich nicht erinnern, was geschehen war, doch zwei der drei Späher lagen Tod am Boden, der Dritte war mit Schrecken in den Augen davongerannt. Seine Seite brannte. Sie blutete, eine tiefe Wunde war ihm dort geschlagen worden. Doch er konnte sich nicht erinnern. Überhaupt war er benommen, in seinem gnazen Körper breitete sich eine Wärme aus. Er fühlte bald keinen Schmerz mehr. Überhaupt fühlte er keine Angst mehr, sondern war voller Glück, berauscht, friedlich. Er sah zum Himmel und er sah durch die Baumkronen und das dichte Blätterdach ein goldenes Licht. Sind die Walküren für mich gekommen?, fragte er sich müde.
Plötzlich stand er bis zu den Knien im Wasser. Er schaute an sich herunter. Wasser? Er liess den blutigen Speer fallen und streckte die Hand nach dem kühlen Nass aus. Er wollte es berühren, die klare Oberfläche, die sich langsam rot färbte vons einem Blut. Beinahe erreichten seine Finger die seichten Wellen, dann kippte er ohnmächtig vornüber und klatschte in den See.