Es dauerte nicht lange und Châukiz trat ein. Vespa tat sich erschrocken um, da sie nicht wusste, dass er es war. Sie fürchtete noch immer, dass hier jemand über sie herfallen würde. Aber auch der noch fremde Châukiz war ihr nicht ganz geheuer. Dieser erhob eine Hand zur um sich zu entschuldigen:
"Verzeih mir. Ich wollte dich nicht erschrecken. In meinem Haus brauchst du dich vor nichts zu fürchten. Niemand außer meiner direkten Verwandtschaft darf hier eintreten."
Vespa nickte, um überhaupt etwas zu sagen. Ihr war es immer noch unheimlich peinlich, da sie wusste, was sie alles gesagt hatte. Und sie konnte ja nicht wissen, dass Châukiz Latein sprach und dazu auch noch so gut. Und sie wusste auch nicht, wie er darauf reagieren würde, dass sie ihn mit allem möglichen beschimpft hatte. Erst jetzt lenkte sie ihren Blick auf Châukiz´ Holztablett. Auf ihm lagen 2 Brote, etwas getrocknetes Fleisch, Beeren und eine Schale mit einer zähen Flüssigkeit die Vespa NOCH nicht identifizieren konnte. Châukiz stellte das Tablett ab und holte etwas aus einem Tuch hervor:
"Das ist eine Tonschale. Ich habe sie für dich gemacht. Ich dachte, es wäre dir vielleicht vertrauter, von römischen Besteck zu essen."
Er setzte sich zu ihr und begann zu essen. Vespa schaute ihm verwundert zu. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass Germanen beim Essen schmatzten wie Schweine und dabei sabberten. Aber Châukiz aß ganz normal und sie wunderte sich, dass er bisher nichts wegen ihren Beleidigungen gesagt hatte. Und dann sah sie die römisch aussehende Tonschale. Sie war gut gearbeitet, glatt und gleichmäßig. Sie nahm sich etwas Brot und ein paar Beeren. Sie aß aber nur zögerlich und dachte nach. Eines wollte sie unbedingt wissen:
"Chakis?"
"Es heißt Ch-au-kies."
"Châukiz, darf ich dich etwas fragen."
"Natürlich."
"Wieso sprichst du Latein?"
"Ein Zenturio brachte es mir bei?"
"Ein Zenturio?"
"Ja. Er wurde mitsamt seiner Kohorte geschlagen und verirrte sich ihm Wald. Ich führte ihn hinaus und zum Dank nahm er mich 3 Jahre als sein Diener mit nach Arretium."
"Du warst in Arretium?"
"Ja. Und in Rom, in Athen, in Massilia. Ich war sogar in Londinium. Ich spreche auch griechisch und keltisch."
Vespa war sehr überrascht, sie hatte mit einer schlichten Antwort gerechnet, aber sie hatte niemals damit gerechnet, dass Barbaren auch so etwas wie "Bildung" haben könnten.
"Wie alt bist du, Châukiz?"
"Ich bin 23."
"Haha, dann glaube ich dir kein Wort. Dann müsstest du ja ein Kind gewesen sein, als du hier fortgingst."
"Also ich war 7 als ich den Zenturio gerettet habe."
"Das glaube ich dir nicht."
"Ist dir nicht bereits aufgefallen, dass alles etwas anders sein könnte, als du denkst?"
"Was willst du damit sagen?"
"Du hättest auch niemals damit gerechnet, dass ich jedes Wort von dir verstehe. Sonst hättest du mich sicher nicht so beschimpft."
Vespa zog sich ein wenig zurück, weil die Pein in diesem Satz sofort zurückkehrte. Châukiz nahm sanft ihre Hand:
"Schäme dich nicht. Es ist mir lieber, dass ich weiß was du über mich denkst. Wenn ich nicht weiß, was dir an mir missfällt, dann kann ich mein Verhalten dir gegenüber auch nicht verbessern."
Jetzt hatte Vespa aber genug. Sie hatte die ganze Zeit schon das Gefühl, dass Châukiz ihr etwas vormacht. Sie hatte mit einem wilden bösen Mann gerechnet, aber nicht mit dem da. Er war höflich, gebildet, geduldig, vielleicht ein wenig zu stolz, aber allemal nicht das, was sie erwartet hatte.
"Ich möchte jetzt endlich wissen, warum du so nett zu mir bist? Das kann überhaupt nicht sein! Du willst mir nur etwas Vormachen, um mein Vertrauen zu gewinnen! Also sag mir warum du so zu mir bist!"
Châukiz wusste erst nicht sorecht was er sagen sollte. Er wusste ja, dass sie ihm warscheinlich nicht glauben würde. Also erzählte er einfach:
"Ich sage dir jetzt mal was! Glaubst du ich habe mir diese Hochzeit ausgesucht? Ganz sicher nicht. Unsere Nachbarstämme sehen uns als Verräter an, dieses ganze Dorf. Mein Vater jedoch glaubt an das woran wir alle glauben. Das wir miteinander leben müssen. Wir können uns auch bekriegen, wenn wir uns respektieren. Aber dieser Krieg gegen die Römer dauert schon zu lange. Es ist zuviel Blut geflossen und es gibt wenige, die einfach leben wollen, wie es unsere Götter verlangen."
"Du wolltest also garnicht heiraten?"
"Nein. Aber ich muss tun, was mein Vater verlangt. Das war schon immer so. Ich habe mich damit abgefunden jemanden zu heiraten, den ich nicht kenne, nur um des Friedens willen."
Nun stand er auf und gab ihr die kleine Schale mit der zähen goldenen Flüssigkeit. Es war feinster Honig. Allerfeinster Honig aus den germanischen Wäldern. Seöbst in Rom eine absolut unbezahlbare Ware. Ein kleiner Löffel voll kostete in Rom 5000 Denar.
"Und wenn ich ganz ehrlich sein soll. Als ich dich sah freute ich mich. Ich bin in vielen Städten Roms gewesen und habe viele Frauen gesehen, aber Balder hat mir Glück geschenkt und mir eine der schönsten Frauen Roms geschenkt. Du bist anmutig und schön. Und ein solch schönes Äußeres hat sicherlich keinen hässlichen Kern. Und dieser Honig ist mein Geschenk an dich."
Vespa wurde rot wie ein Apfel. Sie hatte ihn mit solchen Dingen beschimpft und er schien sie sogar zu mögen, sogar ein wenig zu begehren. Sie nahm einen FInger von dem Honig und ihr Gaumen explodierte beinahe vor Freude. Dieser Honig war würzig und zugleich köstlich süß. Nie zuvor hatte sie so etwas geschmeckt. Sie wusste garnicht wie ihr geschah. Für einen kurzen Moment verflog die Fremde und sie fühlte sich sehr wohl. Ob Châukiz ihr etwas vormachte oder nicht, wusste sie immer noch nicht. Aber sie begann auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass er die Wahrheit sprach.
"Ich möchte dich jedoch um eines Bitten, Vespa. Wenn es Nacht ist, versuche bitte nicht zu fliehen. Das könnte größere Probleme verursachen, als du glaubst. Wie ich sagte, wenn du gehen möchtest, bringe ich dich gerne fort. Aber bitte gehe niemals ohne Begleitung in den Wald."
"In Ordnung." sagte Vespa, obwohl sie genau wusste, dass es gelogen war.
"Gut. Heute Nacht muss ich fort und werde nicht in meinem Haus sein. Doch wie ich sagte, dir wird hier nichts geschehen. Ich habe dort hinten ein Bett für dich errichtet. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Vespa. Und...ich hoffe es war nicht alles ganz so schlimm, wie du erwartet hast."
Mit diesen Worten verließ Châukiz das Langhaus und ließ Vespa alleine. Diese aß auf und betrachtete das für sie hergerichtete Bett. Es war ein Holzrahmen mit Stroh gefüllt und darüber ein dickes weiches Leinentuch. Darauf eine Decke aus Fell und ein Kissen. Sie musste zugeben, dass es recht gemütlich aussah. Und als sie darauf saß befand sie es auch für gemütlich und legte sich ganz darauf.
Sie starrte an die Decke und wartete nur darauf, dass es dunkel genug würde, um stiften zu gehen.